Pflichtwissen für Marketer

Die Ausgabe Januar/Februar 2014 der Fachzeitschrift „absatzwirtschaft“ beschäftigt sich in ihrer Titelstory mit Marketing-Leadership. Zusammengefasst ergibt sich für mich daraus folgende Kernaussage:

Die Bedeutung des Marketings wird für die Großunternehmen nicht bezweifelt. Die Erwartungen an Marketing Officer sind komplexer geworden und gestiegen. Die Stimme und Durchsetzungsfähigkeit der Marketers und Marketingchefs in diesen Unternehmen ist jedoch unbedeutender geworden. Begründung und Forderung zugleich: Weniger das Fachwissen ist gefragt als vielmehr Leadership. Während die Vertreter anderer Managementdisziplinen den Fokus aus Führung, Coaching oder Motivation gelegt haben, haben die Marketers den Schwerpunkt auf Wissen gelegt.

Diese Betrachtung halte ich aus meiner Erfahrung für einseitig falsch, auch wenn ich berücksichtige, dass diese Meinungen im Heftbeitrag von interessierter Seite geäussert werden: Personal- und Unternehmensberater sowie CEO’s.

Unzweifelhaft ist für mich eine holistische Betrachtung: Neben der richtigen Strategie ist eine richtige Umsetzung erforderlich: „Do the right things and do the things right“ (Peter Drucker, Managementguru). Und zur Umsetzung gehört natürlich auch die Durchsetzung. Wer diese Gesamtverantwortung im Unternehmen trägt, der braucht natürlich Führungsqualitäten.

Was nützt die schönste Markenstrategie, die effizienteste Umsetzungsplanung quer über die diversen Marketingdisziplinen und -kanäle, wenn die Mitarbeiter, Geschäftspartner und Stakeholder des Unternehmens machen, was sie wollen. Und umgekehrt: was nützt der visionärste Leader mit tollem Draht zu den Menschen innerhalb und ausserhalb des Unternehmens, wenn seine Strategien die Marketingziele Umsatz, Deckungsbeitrag und Marktanteil verfehlen, weil es auch an Umsetzungs-Know-how fehlt.
Wie sollen die Leistungen der Marketinginstrumente oder der Dienstleister ohne das erforderliche Wissen  beurteilt werden können? Welche neuen Erkenntnisse der Psychologie für die Markenführung oder die Wirkungsweise des Marketing-Mix gibt es, um diese im Sinne der Kunden und gegen die Wettbewerber einzusetzen? Welche digitalen Technologien stehen heute und morgen bereit, um Kunden individueller, schneller und effizienter zu erreichen?

Aktuelles, relevantes und substanzielles Wissen ist die notwendige Bedingung für persönlichen und betriebswirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens. Leadership ist die hinreichende Bedingung. Das eine funktioniert nicht ohne das andere.

Auf dem Blog Socialmediatoday gibt es dieses wunderbare Bild von Brian Kramer:

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It’s Human to Human. Es gilt immer noch und sogar immer mehr das Cluetrain Manifest. Und weil das so ist, halte ich heute folgende Domänen für unverzichtbares Pflichtwissen bei Managern:

  1. Psychologie (Neuroscience): Was ist ein Bedürfnis und was ein Motiv? Warum verhalten sich Menschen so, wie sie sich verhalten? Wissen Sie was genau Wahrnehmung und Arousal sind? Emotionen im Marketing sind bei austauschbaren Gütern entscheidendes Differenzierungsmerkmal. Was genau aber sind Emotionen? Warum steht der Mensch als Kunde im Mittelpunkt jeglichen Marktdenkens. Diese Fragen betreffen den Einzelnen (Persönlichkeitspsychologie), aber auch das Verhalten des Einzelnen in der Gruppe (Sozialpsychologie) sowie die Aufnahme und Verarbeitung der näheren Umwelt (Umweltpsychologie, Werbepsychologie, Gestaltpsychologie und Design). Es geht darum, die Motive des Handelns und das dahinter stehende Denken und Fühlen zu verstehen und als Sozialtechnik einzusetzen.
  2. Soziologie: Welche Strukturen des Verhaltens gibt es in Gemeinschaften und Gesellschaften? Wie funktioniert Kultur? Was macht Zielgruppen und Communities aus? Wie unterscheiden sich Kulturen national und international? Wie können Marktsegmente bestimmt und bedient werden?
  3. Informatik und Datenanalyse: Ohne fortgeschrittene Kenntnisse über die wichtigsten Bausteine einer Informatik für Ökonomen wird eine erfolgreiche Umsetzung von Marketingstrategien nicht funktionieren. Daten sind das neue Öl, veredelt und weiterverarbeitet im Online-Marketing. Es braucht Wissen über Datenanalyse, Statistik, Algorithmen und Systemarchitekturen. IT-Know-how macht sich nicht nur beim sogenannten Big Data (Business Intelligence) bezahlt, sondern auch bei der Marketingautomatisierung. Dazu muss ein Marketer beurteilen können, was die Systeme eigentlich können und ob sie ihr Geld wert sind. Und er muss verstehen, was sich hinter den Algorithmen verbirgt oder was der Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität ist.
  4. Grundlagen der Philosophie: Wir leben in einem Zeitalter, in dem das Marketing nicht nur Kopf und Herz der Kunden treffen muss, sondern auch ihre Seele. Warum ist Ökologie, Nachhaltigkeit und Fairness ein entscheidender Kauffaktor geworden? Worum geht es bei Ethik, Moral und Gerechtigkeit? Wer Kunden langfristig begeistern und binden will, der braucht einen entsprechenden Kundenzugang ganz im Kant’schen Sinne des kategorischen Imperativs.
  5. Methoden für Innovationen: Die Innovationsdynamik – gepusht von den technischen Möglichkeiten – wird dramatisch zunehmen. Der globale Wettbewerb ebenfalls. Das Management von Innovationen ist somit eine strategische Marketingaufgabe und nicht ausschließlich F&E. Dazu braucht der Marketer einen proaktiv einsetzbaren Methodenbaukasten: Von Design Thinking bis zu Lego Serious Play ℗ und Jobs-to-be-done-Konzepten.

Wer in diesen Themengebieten meint intuitiv und mit gesundem Menschenverstand agieren zu können, der kann natürlich mal sechs Richtige haben. Wer sich aber auf den Zufall und das Glück nicht verlassen will, der sollte sich das Wissen aneignen. Alle anderen klassischen Marketingdisziplinen (Werbung, Promotions, Pricing, …) werden heute eh von Beratern, Dienstleistern, Agenturen oder Freelancern übernommen, die in ihren jeweiligen höchst komplexen Themengebieten den Überblick haben.

Handeln heißt entscheiden können und Entscheiden heißt verzichten können. Man muss nur wissen, auf was! Knowledge keeps you ahead.

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